Maßgeschneiderte Spielwiese
Reutlingen. Mit ihrem Herbstkonzert lieferte das "Nachwuchsorchester" (NWO) am Sonntag in der Listhalle den Beweis, dass jugendlicher Feuereifer und sachter Wohlklang zwei Seiten einer Medaille sein können.
Das 55-köpfige Ensemble, bestehend aus jungen Nachwuchsmusikern zwischen zwölf und 19 Jahren, nahm sich ein ehrgeizig gestaltetes und in seiner Wirkung bunt daherkommendes Programm vor. Unter dem Dirigat von Konrad Heinz diente es gleichermaßen zur Demonstration ihrer Leistungs- wie Wandlungsfähigkeit.
Zur Eröffnung des Abends wirkte der Klangkörper zu Peter Warlocks "Capriol Suite" zunächst noch etwas fragil und unsicher, doch im Verlauf des sechsteiligen Werks gewann es hörbar an Sicherheit und konnte die Nervosität besiegen. Orientierung und Sicherheit bot dabei, wie auch während des gesamten Konzertabends, der umsichtig und souverän agierende Dirigent. Mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl ausgestattet, lockte der 25-Jährige, spornte an, riss mit, dämpfte und beruhigte – verlor aber nie den Blick fürs große Ganze und das Ohr für den guten Ton. Unter seiner Leitung erklang so ein gewinnender, klar strukturierter und griffiger Sound, der Warlocks Tänzen ebenso aufschwingend, wie auch sinnierenden Gestalt verlieh.
Weit komplexer und experimenteller war da schon Charles Ives folgende "The unanswered Question". Das Werk, mehr eine lautmalerische Meditation über die Frage aller Fragen, als ein Klassiker orchestraler Literatur, bestach vor allem durch eine feinfühlig gestaltete Umsetzung. Den vom Orchester sehr langsam gespielten, choralähnlichen Akkorden mit monumentalem Habitus, stand die fragende Trompete gegenüber. Die immer wilder geratenen und dissonierenden Antworten der Flöten hoben sich buchstäblich ab und führten zu einem Klangerlebnis der besonderen Art. Es zeigte auf beeindruckende Weise die Offenheit und die stilistische Wandlungsfähigkeit des Orchesters.
Für den vorläufigen Höhepunkt des Abends aber sorgte Antonin Dvoraks "Romanze in f-moll" und insbesondere die Soloviolinistin Eva Schall. Aufmerksam und behende begleitet durch das Ensemble, zeigte die junge Solistin, was in ihr und ihrem Instrument steckt. Sie verströmte mit reifen und selbstbewussten Bogenstrichen eine beinahe mit Händen zu fassende, raumgreifende Aura, sorgte mit klagend schönem Spiel, wie auch mit schmelzender Intonation für beeindruckend vitale, klangmalerische Landschaften. Zu Recht wurde sie – und ihr hochkarätiges Spiel – mit nicht enden wollendem Applaus gefeiert. Eva Schall, mehrfache Preisträgerin des Bundeswettbewerbs "Jugend musiziert", ist seit 2005 Stipendiatin der Christel-Guthörle-Stiftung. Die 2001 vom Ehepaar Guthörle ins Leben gerufene Einrichtung fördert seit nun zehn Jahren Solisten aber auch, seit acht Jahren, das NWO. Zum Dank und zum Jubiläum überreichte sein Leiter, Konrad Heinz, einen Blumenstrauß: "Ohne Sie wäre unsere Arbeit so nicht machbar", dankte er.
Die Früchte dieser Arbeit war dann im finalen Vortrag des Abends zu hören. In Wolfgang Amadeus Mozarts "Prager Sinfonie" mit der Nummer 38 gelang ein Abgang nach Maß. Das in drei Sätze unterteile Werk bot den Musikern eine maßgeschneiderte Spielwiese, auf der sie sich – nun in voller Besetzung – als homogener Klangkörper präsentieren konnten. Juveniler und klangstarker Feuereifer wechselte sich hier mit erstaunlich abgeklärter und bewegter Sinnlichkeit ab.
Die Zuhörer ließen zum Ende langen Applaus regnen und wurden schließlich mit einer Zugabe nach Hause geschickt. Das Konzert überzeugte, trotz nicht immer ganz sattelfestem Vortrag. Sorgen muss man sich um den musikalischen Nachwuchs nicht machen.